Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek Zweites Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes

Veröffentlicht:

Samstag, 10.08.2024
von Die Redaktion

Interviewer: Herr Blazek, das Zweite Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) ist gerade erst in Kraft getreten. Welche Bedeutung hat diese Reform für Kapitalanleger?

Daniel Blazek: Die Reform des KapMuG ist ein wichtiger Schritt, um die Rechte von Kapitalanlegern in Deutschland zu stärken. Das Gesetz bringt mehr Klarheit und Effizienz in die Abwicklung von Sammelklagen im Kapitalmarktbereich, insbesondere bei Schadensersatzansprüchen aufgrund fehlerhafter Kapitalmarktinformationen. Für Anleger bedeutet das, dass sie in komplexen Fällen, wie zum Beispiel bei großen Anlegerskandalen, eine bessere rechtliche Grundlage haben, um ihre Ansprüche kollektiv geltend zu machen.

Interviewer: Was sind die wesentlichen Änderungen, die das neue KapMuG mit sich bringt?

Daniel Blazek: Eine der zentralen Änderungen ist die Erweiterung des Anwendungsbereichs. Neben den klassischen kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen umfasst das Gesetz nun auch Ansprüche im Zusammenhang mit der EU-Kryptowerte-Verordnung. Außerdem ist das KapMuG jetzt klar von Verbandsklagen nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VRDG) abgegrenzt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einführung des elektronischen Aktenführungs- und Musterverfahrensregisters, was die Effizienz und Transparenz der Verfahren erheblich steigern soll.

Interviewer: Wie genau wird ein Musterverfahren nach dem neuen KapMuG eingeleitet?

Daniel Blazek: Das Musterverfahren kann durch einen Antrag eines Klägers oder Beklagten im ersten Rechtszug eingeleitet werden. Der Antrag muss ein oder mehrere Feststellungsziele benennen, die im Verfahren geklärt werden sollen. Wenn das Gericht den Antrag für zulässig hält, wird er im Musterverfahrensregister bekannt gemacht. Innerhalb von sechs Monaten müssen mindestens neun weitere gleichgerichtete Anträge eingehen, damit ein Vorlagebeschluss an das Oberlandesgericht ergeht. Erst dann wird das eigentliche Musterverfahren eröffnet.

Interviewer: Welche Rolle spielt das Oberlandesgericht im neuen KapMuG?

Daniel Blazek: Das Oberlandesgericht hat eine zentrale Rolle im neuen KapMuG. Es entscheidet nicht nur über die Feststellungsziele im Musterverfahren, sondern bestimmt auch den Musterkläger, der das Verfahren im Interesse aller Kläger führt. Der Musterentscheid, den das Oberlandesgericht trifft, ist bindend für alle beteiligten Parteien und dient als Grundlage für die Entscheidung in den nachfolgend ausgesetzten Einzelverfahren.

Interviewer: Was ändert sich für die Anleger in Bezug auf die Kosten eines Musterverfahrens?

Daniel Blazek: Die Kosten eines Musterverfahrens werden weiterhin als Teil der Kosten des jeweiligen Ausgangsverfahrens betrachtet. Das bedeutet, dass die Kostenlast letztlich vom Ausgang des Musterverfahrens abhängt. Neu ist jedoch, dass durch die Einführung der elektronischen Aktenführung und des Musterverfahrensregisters die Verwaltungskosten sinken könnten, was potenziell die Gesamtkosten für die Anleger reduziert.

Interviewer: Was passiert, wenn ein Musterentscheid getroffen wird? Wie wirkt sich das auf die nachfolgenden Verfahren aus?

Daniel Blazek: Ein Musterentscheid des Oberlandesgerichts bindet alle nachfolgend ausgesetzten Verfahren. Das bedeutet, dass die Feststellungen des Musterverfahrens direkt in die Entscheidungen der Einzelverfahren einfließen. Dadurch wird vermieden, dass dieselben Rechtsfragen in mehreren Prozessen immer wieder neu verhandelt werden müssen. Für die Anleger hat dies den Vorteil, dass sie schneller zu einer Entscheidung kommen können, ohne lange gerichtliche Auseinandersetzungen in ihrem individuellen Fall führen zu müssen.

Interviewer: Sie haben die Einbindung der EU-Kryptowerte-Verordnung erwähnt. Welche Auswirkungen hat das auf die Anleger?

Daniel Blazek: Die Aufnahme von Ansprüchen im Zusammenhang mit der EU-Kryptowerte-Verordnung in den Anwendungsbereich des KapMuG ist sehr bedeutend. In den letzten Jahren haben Kryptowährungen und digitale Vermögenswerte stark an Bedeutung gewonnen. Mit dieser Änderung können nun auch Anleger, die in Kryptowerte investiert haben und sich durch falsche oder irreführende Informationen geschädigt sehen, ihre Ansprüche im Rahmen eines Musterverfahrens geltend machen. Das schafft mehr Rechtssicherheit und erleichtert die Durchsetzung von Ansprüchen in diesem bislang rechtlich schwer zugänglichen Bereich.

Interviewer: Was halten Sie von der Einführung der elektronischen Aktenführung und dem Musterverfahrensregister?

Daniel Blazek: Die Einführung der elektronischen Aktenführung und des Musterverfahrensregisters ist ein längst überfälliger Schritt. Diese Maßnahmen tragen erheblich zur Beschleunigung der Verfahren bei und verbessern die Transparenz. Für die Anleger bedeutet dies, dass sie jederzeit Einblick in den Verfahrensstand haben und Entscheidungen schneller getroffen werden können. Außerdem wird die einheitliche Verwaltung der Verfahren erleichtert, was gerade bei umfangreichen und komplexen Sammelklagen von großem Vorteil ist.

Interviewer: Wie wird das Gesetz in den kommenden Jahren überwacht oder weiterentwickelt?

Daniel Blazek: Das Gesetz sieht eine Evaluierung fünf Jahre nach Inkrafttreten vor. Dabei wird überprüft, ob die Reform die gewünschten Verbesserungen gebracht hat, insbesondere hinsichtlich der Effizienz und der Rechtssicherheit für die Anleger. Falls notwendig, könnten auf Basis dieser Evaluierung weitere Anpassungen vorgenommen werden. Es ist also durchaus möglich, dass das Gesetz in der Zukunft weiterentwickelt wird, um auf neue Herausforderungen im Kapitalmarkt zu reagieren.

Interviewer: Abschließend, welche Ratschläge würden Sie Anlegern geben, die in Erwägung ziehen, Teil eines Musterverfahrens zu werden?

Daniel Blazek: Anleger sollten sich gründlich informieren, bevor sie sich einem Musterverfahren anschließen. Es ist wichtig, die spezifischen Risiken und Kosten zu verstehen, die mit einem solchen Verfahren verbunden sind. Außerdem sollten Anleger sicherstellen, dass ihre individuellen Ansprüche tatsächlich im Rahmen des Musterverfahrens abgedeckt werden. Es kann auch sinnvoll sein, sich rechtlich beraten zu lassen, um die besten Schritte zur Durchsetzung ihrer Rechte zu planen. Insgesamt bietet das neue KapMuG jedoch einen klaren und rechtssicheren Rahmen, der den Anlegern hilft, ihre Ansprüche effektiver durchzusetzen.

Interviewer: Vielen Dank, Herr Blazek, für dieses ausführliche Gespräch und Ihre wertvollen Einblicke!

Daniel Blazek: Gern geschehen. Es ist mir wichtig, dass Anleger die neuen Möglichkeiten, die das reformierte KapMuG bietet, voll ausschöpfen können