Fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Angebot der Weiterbeschäftigung?

Veröffentlicht:

Donnerstag, 30.03.2023
von Redaktion

Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos kündigt, weil er der Ansicht ist, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, dem Arbeitnehmer aber gleichzeitig anbietet, während des Kündigungsschutzverfahrens zu den gleichen Bedingungen weiterzuarbeiten, „um eine Ablehnung zu vermeiden“, handelt er widersprüchlich. In einem solchen Fall besteht de facto die Vermutung, dass das Arbeitsplatzangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Kündigungsgründe oder die entsprechenden Erklärungen des Arbeitgebers widerlegt werden.

Der Kläger war seit dem 16. August 2018 bei der Beklagten als technischer Leiter beschäftigt und verdiente 5.250,00 € brutto im Monat. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 sprach die Beklagte eine fristlose Kündigung aus und bot dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen ein reduziertes Gehalt von 3.750,00 € brutto monatlich an. In dem Kündigungsschreiben hieß es weiter: „Für den Fall, dass Sie die außerordentliche Kündigung ablehnen (d.h. für den Fall, dass Sie der Auffassung sind, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist) oder für den Fall, dass Sie das nachfolgende Angebot annehmen, erwarten wir, dass Sie spätestens am 05.12.2019 um 12:00 Uhr die Arbeit aufnehmen“. Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und erschien nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.12.2019 erneut, und zwar „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ“. Weiter führte sie aus, dass sie „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte, dass die Klägerin „spätestens am 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ die Arbeit aufnimmt“. Der Kläger hielt sich nicht an diese Bestimmung. In dem von der Klägerin angestrengten Kündigungsschutzverfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendeten.

Nachdem die Beklagte für den Monat Dezember 2019 nur ein Gehalt von 765,14 Euro brutto gezahlt hatte und der Kläger bis zum 1. April 2020 kein neues Arbeitsverhältnis begründen konnte, erhob er eine Nichtabnahmeentschädigungsklage und verlangte die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des bis zur Aufnahme des neuen Arbeitsverhältnisses bezogenen Arbeitslosengeldes. Er machte geltend, dass sich die Beklagte während des fraglichen Zeitraums aufgrund seiner unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden habe. Es sei ihm nicht zuzumuten, zu den geänderten oder gar den ursprünglichen Arbeitsbedingungen weiter für die Beklagte zu arbeiten, sofern die Beklagte ihm diese ernsthaft angeboten habe. Die Beklagte habe ihm zu Unrecht mehrfaches Fehlverhalten vorgeworfen und ihn in umfangreichen Erklärungen verunglimpft, um seine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Sie hatte ihrerseits erklärt, dass ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar sei. Demgegenüber hat die Beklagte geltend gemacht, dass sie sich nicht in Annahmeverzug befinde, weil der Kläger während des Kündigungsschutzverfahrens nicht bei ihr weiterbeschäftigt worden sei. Der Kläger sei selbst davon ausgegangen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei, weil er während des Kündigungsschutzverfahrens einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe trotz der unwirksamen Kündigungen der Beklagten keinen Anspruch auf eine Nichtannahmeentschädigung, weil er das Angebot der Beklagten, während des Kündigungsschutzverfahrens für die Beklagte weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe. Der Kläger war daher gemäß § 297 BGB leistungsunwillig. § 297 BGB.

Die Revision der Klägerin, der der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts stattgegeben hat, war erfolgreich. Die Beklagte befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen in Annahmeverzug, ohne dass der Klägerin ein Arbeitsplatzangebot unterbreitet worden war. Da die Beklagte selbst davon ausging, dass ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zugemutet werden könne, begründete ihr widersprüchliches Verhalten die tatsächliche Vermutung, dass sie dem Kläger vor Gericht kein ernsthaftes Arbeitsplatzangebot gemacht hat. Die abweichende Beurteilung des Landesarbeitsgerichts beruhe nur auf einer selektiven Betrachtung des Parteivortrags und sei daher nicht vertretbar. Im Übrigen lässt die Ablehnung eines solchen „Angebots“ nicht auf eine mangelnde Leistungsbereitschaft der Klägerin im Sinne des § 297 BGB schließen. § 297 BGB. Die einzige Möglichkeit wäre, sich den vorsätzlich unterlassenen Verdienst nach § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen zu lassen. Dies scheide im vorliegenden Fall jedoch aus, weil der Kläger wegen der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Verunglimpfung seiner Person nicht mit einer Beschäftigung bei der Beklagten rechnen könne. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzverfahren einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe. Dieser Antrag war auf eine Beschäftigung bei Gericht gerichtet, nachdem die Unwirksamkeit der Kündigungen festgestellt worden war. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung verweigert hätte, hätte er seinerseits widersprüchlich gehandelt. Im vorliegenden Fall ging es aber um eine Weiterbeschäftigung in der Zeit vor der erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn erhobenen (schwerwiegenden) Vorwürfe im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung weiterarbeiten muss oder ob er nach einer erstinstanzlichen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren sozusagen „rehabilitiert“ an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. März 2023 – 5 AZR 255/22 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1. November 2021 – 1 Sa 330/20 –